Fachpraxis für Pferde

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...Hilfszügel - Sinn oder Unsinn?

Betrachten wir, welche Krafteinwirkung man mit zu starken Zügelhilfen auf das Pferdemaul haben kann. Dr. med. vet. Gerd Heuschmann hat dies in seinem Buch „Finger in der Wunde“ (erschienen im Wuwei-Verlag) mit einer sehr interessanten Rechnung ausgeführt.
Zusammengefasst: Bei einer Zugkraft von 30kp an einem Zügel (was beim „feste Reißen“ oder „Riegeln“) recht schnell erreicht ist, hat das Pferd auf der Lade, also im Maul, eine Krafteinwirkung von 60kp.
Durch die Hebelwirkungen entstehen an der Hinterhauptsschuppe (dem Knochen des Kopfes, den man zwischen den Ohren des Pferdes spüren kann) eine Wirkung von 600kp! Weil ich hier keine Formelabhandlung aufstellen möchte, folgt eine wenig akademische Übersetzung: In etwa kann man kp mit kg gleichsetzen... Wie soll man mit knapp 600 Kilogramm Zug im Nacken locker laufen?

Es muss sich im Bewusstsein verankern, dass man dem Pferd mit falscher Zügelhandhabung ungeheure Schmerzen zufügen kann – Frakturen der Unterkieferäste beim Pferd sind, erzeugt von einer harten Reiterhand, möglich. Damit genau dieses Kopfschlagen und Reißen nicht passiert, greifen manche Menschen nach Hilfszügeln. Richtig angewendet und verschnallt spricht nichts gegen zeitlich begrenzte unterstützende Maßnahmen. Soll doch das Pferd Muskulatur aufbauen oder der Reiter besser sitzen und eine ruhige Hand üben können. Es ist sicherlich sinnvoll, einen guten Mittelweg zu finden. Gerade für einen Reitanfänger ist es schwierig, wenn nicht zuweilen schier unmöglich, ein Pferd mit weggedrücktem Rücken sitzen zu lernen.
Andersherum wird sich ein Pferd gut überlegen, ob es einen runden, beweglichen Rücken anbietet, wenn der Reiter bei jedem Schritt in den Rücken fällt. Um es nun für beide so angenehm wie möglich zu gestalten, kann man – sinnvoll eingesetzt! – an Hilfszügel denken.
 
Trotzdem, ein Hilfszügel nimmt einem niemals ab, zunächst die Hinterhand zu lösen, und die Entwicklung von hinten nach vorne zu unterstützen. Ein Hilfszügel kann, wie der Name ja auch schon andeutet, immer nur eine Hilfe sein! Eine Hilfe, bei der man sich genau bewusst sein sollte, warum man sie benutzt, und was genau sie bewirkt. Ist ein Hilfszügel zu kurz verschnallt, hat man das gleiche Problem, wie beim starken Zügelzug. Nur im Prinzip noch schlimmer, denn hier hat das Pferd gar keine Chance mehr, sich kurzzeitig Entspannung zu verschaffen, indem es sich „heraushebelt“. Außerdem darf man bei der Nutzung von Hilfszügeln nie den Ausbildungsstand des Pferdes aus den Augen verlieren.
Ist ein Pferd muskulär noch gar nicht in der Lage, dauerhaft in Anlehnung zu gehen, verschafft man dem Pferd einen schmerzhaften Muskelkater. Wenn es ein Pferd ist, das viel mitmacht, kann man „Glück“ haben, und man merkt es gar nicht.
Ich habe aber auch schon Pferde erlebt, die vor Schmerzen halb wahnsinnig wurden, sich sehr massiv widersetzten und zur Gefahr für ihre Umgebung wurden! Ein im Gegenzug zu lang eingeschnallter Hilfszügel wird zuweilen zur Stolperfalle und hat überhaupt keinen Effekt. Hilfszügel, die dem Pferd erlauben, sich nach unten voll zu strecken und die seitlichen Bewegungsmöglichkeiten voll auszuschöpfen, und nur die Bewegungsrichtung nach oben behindert wird, sind in meinen Augen die beste Möglichkeit, um ein Pferd im Training zu unterstützen.
 
Die Ausnahme dazu bildet der Schlaufzügel. Eigentlich ist er dazu gedacht, ein Pferd nach vorwärts-abwärts einzuladen, und wird er so angewendet, ist es auch in Ordnung. Leider wird er aber sehr häufig dazu gebraucht, den Pferdekopf in eine feste Position zu zwingen. Deshalb wird er häufig bei heftigen Pferden eingesetzt, die sich ohne diesen Schlaufzügel zu sehr gegen die Hand wehren, und die man so in seine Kontrolle zwingen kann: Da dieser Zügel nach dem Flaschenzugprinzip funktioniert, hat der Reiter tatsächlich die – mir sehr unheimliche – Chance, mit demselben Kraftaufwand, den er auf den Zügel gibt, den !doppelten! Zug allein über die Schlaufzügel auf die Lade zu bringen. Es versteht sich von selbst, dass unter diesen Voraussetzungen die Wahrscheinlichkeit der Verspannungen, Blockaden, Lahmheiten und Wirbelproblematiken sehr hoch sind! Aber auch die Psyche des Pferdes kann so leicht Schaden nehmen.

Denken wir also immer daran: Eine Zügelhilfe sollte immer eine Hilfe bleiben, und nicht zur Hauptansage für die Kommandos mutieren! Ich freue mich über jedes Paar, welches harmonisch miteinander das Reiten erleben kann. Und das (wieder) ohne Verspannungen und Schmerzen mit Spaß an die Arbeit geht!

...von der Hand in den Mund